Die Haftpflicht fordert Regress trotz Einstellung des Strafverfahrens?
Die Haftpflichtversicherung fordert Regress, obwohl das Strafverfahren wegen Verkehrsunfallflucht eingestellt wurde? Das ist nicht ungewöhnlich und in vielen das Standardvorgehen der Versicherungen:
Viele Ermittlungsverfahren wegen Fahrerflucht (§ 142 StGB) werden von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Kann kein Täter ermittelt werden oder kommt aus anderen Gründen eine weitere Verfolgung nicht in Betracht, wird mangels hinreichendem Tatverdacht nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. War die Sache geringfügig, kann nach § 153 StPO eingestellt werden. Und schließlich kann die Sache auch gem. § 153a StPO gegen „Auflagen und Weisungen“ eingestellt werden, wenn der Beschuldigte zustimmt und die Auflage erfüllt. Allen Einstellungen ist gemeinsam, dass die Frage, ob eine Verkehrsunfallflucht begangen wurde oder nicht, im Ergebnis offen bleibt. Trotzdem fordern Haftpflichtversicherungen auch nach einer Einstellung des Strafverfahrens wegen Unfallflucht häufig Regress vom (ehemals) Beschuldigten. Nicht immer zu Recht.
Wie erfährt die Haftpflichtversicherung von der Einstellung des Strafverfahrens?
Woher weiß die Haftpflicht überhaupt vom Ausgang des Strafverfahrens? Die Frage ist schnell beantwortet: Nach einem Unfall fordert die Versicherung zur Schadensregulierung regelmäßig die Akte bei der Polizei an. Ergibt sich aus der Unfallakte, dass gegen den Fahrer des versicherten Fahrzeugs wegen Unfallflucht ermittelt wird, dann wird die Versicherung die Akte zu einem späteren Zeitpunkt erneut bei der Staatsanwaltschaft anfordern. Dieses Vorgehen ist üblich, das Akteneinsichtsrecht der Versicherung ergibt sich dabei aus § 406e StPO. Mit der erneuten Akteneinsicht weiß die Versicherung dann, wie das Strafverfahren ausgegangen ist. Wurde der Beschuldigte verurteilt oder wurde ein Strafbefehl wegen Verkehrsunfallflucht erlassen? Oder wurde die Sache eingestellt? Nach meiner Erfahrung wird die Versicherung nicht nur im Fall der Verurteilung und des Strafbefehls Regress fordern, sondern auch bei der Einstellung gem. § 153 StPO und vor allem bei der praktisch wichtigen Einstellung gegen Auflage gem. § 153a StPO.
Ist der Regressanspruch verjährt?
Nicht nur das Strafverfahren kann sich hinziehen, sondern auch das gerade beschriebene Vorgehen der Versicherung. Deshalb wird die Regressforderung oft erst geraume Zeit nach dem Unfall geltend gemacht. Das ist für Betroffene besonders ärgerlich – Unfall und Strafverfahren sind schon vergessen, und dann kommt das Schreiben der Haftpflicht, wonach binnen der nächsten zwei Wochen 2.500 € gezahlt werden sollen! Geht das so?
Meistens ist der Zeitablauf kein Problem. Der Regressanspruch unterliegt der Regelverjährung gem. § 195 BGB. Danach verjährt der Anspruch nach drei Jahren. Der Beginn der Verjährung ist in § 199 BGB geregelt – die Frist beginnt am Schluss des Jahres zu laufen, in dem der Anspruch entstanden ist. Beim Regress gehen Sie also vom Unfalldatum aus, von diesem gehen Sie zum nächsten 31. Dezember und zählen dann drei Jahre dazu – dann haben Sie den Verjährungszeitpunkt ermittelt. Sie haben Fragen dazu? Schreiben Sie mir eine Nachricht oder vereinbaren Sie eine Erstberatung, gerne gebe ich Ihnen eine erste Einschätzung Ihrer Sache.
Verhältnis Strafverfahren – Regressverfahren
Kann trotz der Einstellung des Strafverfahrens Regress gefordert werden? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich das Verhältnis zwischen dem Strafverfahren wegen Verkehrsunfallflucht und der Regressverfahren verdeutlichen:
Grundsätzlich haben beide Verfahren nichts miteinander zu tun. Das Strafverfahren betrifft den Staat – hier in Gestalt der Strafjustiz – und den Beschuldigten. Zuständig ist das Strafgericht. Die Haftpflichtversicherung ist in diesem Verfahren nicht beteiligt. Eine Regressforderung hingegen ist eine zivilrechtliche Angelegenheit. Ihre Versicherung will Geld von Ihnen – wenn Sie die Zahlung verweigern, kann die Versicherung Klage erheben. Zuständig ist dann das Zivilgericht. Der Zivilrichter prüft dann, ob der Anspruch zu Recht erhoben wird.
Kurzes Video zum Regress (01:09)
Strafverfahren und Regressverfahren sind unabhängig voneinander
Wichtigste Voraussetzung für den Regressanspruch ist allerdings, dass Sie Ihre Aufklärungspflicht aus dem Versicherungsvertrag verletzt haben. Diese Pflichtverletzung ist (mehr oder weniger) identisch mit der Unfallflucht. Für das Zivilverfahren bedeutet das, dass die Versicherung die Pflichtverletzung praktisch nicht mehr beweisen muss, wenn das Strafverfahren mit einer Verurteilung (auch durch einen Strafbefehl) beendet wurde. Eine wesentliche Hürde ist damit genommen.
Wurde das Strafverfahren hingegen eingestellt, kann die Versicherung trotzdem Regress fordern – wie zuvor erwähnt, die Verfahren haben grundsätzlich nichts miteinander zu tun. Allerdings muss die Versicherung in diesen Fällen im Zivilverfahren das Vorliegen der Pflichtverletzung und damit die Verkehrsunfallflucht beweisen. Dadurch sind die Chancen, die Regressforderung nach einer Einstellung abzuwehren, oft gut. Anders als im Falle der Verurteilung geht das bei einer Einstellung der Sache nicht einfach durch einen Hinweis auf die bereits erfolgte Verurteilung. Die entscheidende Frage ist natürlich, ob dieser Beweis gelingt oder nicht. Das kommt in erster Linie auf den konkreten Sachverhalt an, wobei die Vorschrift, nach der eingestellt wurde, einige Hinweise geben kann:
Regress und Einstellungen im Einzelnen:
Die Einstellung gem. § 170 Abs. 2 StPO
Mir ist bislang noch kein Fall untergekommen, in denen das Ermittlungsverfahren gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, die Haftpflichtversicherung aber trotzdem Regress vom ehemals Beschuldigten verlangt hat. In aller Regel besagt die Einstellung nach dieser Vorschrift ja, dass gerade keine Verkehrsunfallflucht begangen oder nachweisbar war – unschuldig wie ein Lamm also (womit auch das Beitragsfoto erklärt wäre). Insofern dürfte die Versicherung in einem Zivilverfahren in der Regel Schwierigkeiten haben, die Anspruchsvoraussetzungen darzulegen. Ganz und gar ausgeschlossen ist das allerdings nicht. Trotzdem würde ich im Regelfall davon ausgehen, dass die Chancen, die Regressforderung abzuwehren, nach einer Einstellung mangels hinreichendem Tatverdacht gut sind.
Einstellung gegen Auflagen gem. § 153a StPO
Weniger eindeutig es bei der Einstellung gegen Auflagen und Weisungen gem. § 153a StPO. Formal betrachtet ist die Einstellung keine Verurteilung, die Unschuldsvermutung gilt fort. Ob eine Verkehrsunfallflucht begangen wurde oder nicht, ist offen geblieben. Praktisch unterstellen die Versicherungen aber immer, dass im Falle einer Einstellung nach dieser Vorschrift auch eine Verkehrsunfallflucht begangen wurde – nach der Logik der Versicherungen wäre sonst ein Freispruch oder eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO erfolgt. Die Zustimmung zur Einstellung, die ja zwingende Voraussetzung ist, wird als Geständnis gewertet. Das ist natürlich Unsinn. Es gibt viele Gründe, weshalb ein Beschuldigter einer Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO zustimmt. Oft geht es einfach darum, die leidige Sache aus der Welt zu schaffen.
Rechtlich kann die Versicherung natürlich Regress fordern, obwohl das Verfahren eingestellt wurde – wie erläutert, haben die Verfahren nichts miteinander zu tun. Allerdings ist die Versicherung für das Vorliegen der Verkehrsunfallflucht beweispflichtig. Ob das in einem Zivilverfahren gelingt, hängt vom Einzelfall ab. Dabei ist zu berücksichtigen, dass häufig gerade die Verfahren von der Strafjustiz gegen Auflage eingestellt werden, in denen die Beweislage nicht eindeutig ist. Ich kann deshalb nur den Rat geben, die Sache prüfen zu lassen, bevor man die Regressforderung zahlt oder anerkennt. Vereinbaren Sie eine kostenlose Erstberatung, gerne gebe ich Ihnen eine erste Einschätzung.
Nur am Rande: Wenn Sie im Strafverfahren von einem Anwalt verteidigt waren und im Ergebnis eine Einstellung gegen Auflage erreicht wurde, dann hätte Sie der Anwalt über den drohenden Regress informieren sollen. Das geschieht leider nicht immer, weshalb für viele, die der Einstellung auf anwaltlichen Rat hin zugestimmt haben, später von der Regressforderung überrascht werden.
Einstellung wegen Geringfügigkeit gem. § 153 StPO
Einstellungen wegen Geringfügigkeit sind bei Verkehrsunfallfluchten nach meiner Erfahrung eher selten, weil die Schadenshöhe selbst bei kleineren Beschädigungen schnell in die Hunderte geht. Doch manchmal greift der Staatsanwalt auch zu dieser Einstellungsmöglichkeit, auch wenn ein relevanter Schaden vorliegt. Da der Beschuldigte bei dieser Einstellung nicht zustimmen muss und sich auch sonst nicht gegen die Einstellung wehren kann, ist die Ausgangslage hier sogar besser als bei der Einstellung gegen Geldauflage. Ich kann deshalb auch hier nur den Rat geben, die Regressforderung nicht ungeprüft zu zahlen oder anzuerkennen. Schreiben Sie mir eine Nachricht, gerne gebe ich Ihnen eine erste Einschätzung.
Forderung ohne Anwalt abwehren?
Wenn Sie jetzt einigermaßen über die Rechtslage informiert sind – was spricht dann dagegen, sich selbst ohne Anwalt mit der Versicherung auseinanderzusetzen? Natürlich können Sie das versuchen. Ich mache aber immer wieder die Erfahrung, dass die Versicherungen „Widersprüche“ oder andere nicht-anwaltliche Schreiben nicht ernst nehmen. Fast immer wird mit identischen Textbausteinen geantwortet, eine neue Frist gesetzt und damit der Druck erhöht. Wer erst dann zum Anwalt geht, wenn bereits mehrere Fristen verstrichen sind, vereinfacht die Sache nicht. Oft fehlt dann Zeit, zum Beispiel, um die Ermittlungsakte bei der Staatsanwaltschaft anzufordern.
Mein Rat: Melden Sie sich, wenn die Haftpflicht nach der Einstellung Regress fordert. Eine erste Einschätzung ist kostenlos. Was haben Sie zu verlieren?